Dichtungen

Hollerhof - eine Geschichte aus der Wegwarte

Ein fränkisches Herbarium - aufgesammelt von Fritz Föttinger

 

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          • Schafgarbe
            Wegwarte
            Fünffingerkraut
            Taubenkropf
            Johanniskraut
            Baldrian
            Katzenpfötla
            Blutströpfla
            Maria-Bettenstroh
            Muttergotteskerzen ...

Gottverlassen liegt der Hollerhof im "Wässerer Grund", wie die Hollfelder sagen, umschlungen von Hollerbüschen bis ans Dach.

Einige Ziegel fehlen. Fensterscheiben zersprangen.
Bretter hängen lose am Scheunengiebel, grauverwittert.
Zaunhohe Weberdisteln recken sich neben der Haustüre:
Relikte längst vergangener Ackerbaukultur, wie Brigitte Stenglein, die einundneunzigjährige Bäuerin.

Sie erlebt seit vielen Jahren stille Tage, ohne Telefon, ohne Fernseher, auf dem Einödhof, der jedes Frühjahr in einem Meer gelbweißer Holunderblüten versinkt.

Brigitte Stenglein kocht keine Holundermarmelade mehr - backt keine Holunderküchlein. Die Caritas schaut täglich vorbei.
Auf ihrem Tisch in der Guten Stube steht ein kleines Kruzifix, daneben ein Porträt vom Pater Pio, dem Seligen. Er versteckt seine Wundmale auf den Handflächen unter den langen Ärmeln seiner Jacke.

Am Fensterbrett ein Vase mit unvergänglichen Plastikblumen. Auf der Eckbank liegt eine Schachtel, vollgepackt mit Erinnerungen. Postkarten, Briefe, Fotos.
Fotos von der Hollerhofbäuerin beim Kirchgang an Maria Himmelfahrt.

Sie kennt noch viele Pflanzen für den Kräuterbüschel zur Kräuterweihe.

"Wo ma glebt hot, soll ma bleim. Mir gfällts do. Ich hob alles, wossi brauch."

Brigitte Stengleins rechtes Auge ist erblindet.
Ob Sie den Öldruck an der Wand noch sieht?
Auf dem Bild wandelt Christus mit seinen Jüngern durch Kornfelder.
Er streift mit der Hand über Ähren wie die Bauersleute, wenn Sie prüfen, ob das Korn reift: unser täglich Brot.

Aus dem Buch "Wegwarte" - eine von 25 Geschichten.

von Fritz Föttinger